In der Spannung zwischen Institution und Charisma
Bevollmächtigung eines “Nicht-Propheten”
Am 7,10-17
Mit seinem Wirken zwischen cca. 780 und 740 v.C. – vor allem während der Regierung Jerobeams II. von Israel (s. Am 1,1), der bereits seit 793/2 als Mitregent unter Joas an der Macht ist, – gehört Amos zu den frühesten Schriftpropheten. Nach dem Auftreten von Elia und Elischa innerhalb der Kön 1-2, soll er eigentlich mit seinem ältesten “selbständigen” Prophetenbuch chronologisch an der ersten Stelle der sog. zwölf “kleinen Propheten” in der Bibel stehen, vor Hosea und Joel. Zusammen mit Hosea kann er als Vorgänger des großen Jesaja gelten, dessen Berufung am Ende der Tätigkeit von Amos geschieht (740/39 v.C).
Über die Berufung von Amos gibt die Bibel nur einen kurzen Ausweis innerhalb der Episode Am 7,10-17. Dieser Text befindet sich im abschliessenden Drittel des Amosbuches und – im Rahmen von Kapitel 7 – folgt er im Anschluß auf drei Visionen (v.1-3; 4-6; 7-9), die mit dem Hinweis auf die von Jahwe gegeben Schauung einsetzen und die Drohungen ‘gegen das Haus Jerobeam’ (v.9) entfalten. Mit der Darstellung der Auseinandersetzung mit dem “Reichspriester” Amasja, in die der Hinweis auf die Berufung von Amos (v.14f) eingebettet ist, schließt das Kapitel ab.
Als “Andeutung der Not” kann man im Kontext des Amosbuches die allgemeine Androhung mit den Bildern vom kommenden Unheil ansehen, die in ‘nicht an ihm vorübergehen’ als einem direkten Gegenteil zum schonenenden Vorübergang in der Pesaschnacht (Ex 12,23 `br + psh) zugespitzt und im, für Amos spezifischen, dreimaligen ‘ganz bestimmt wird weggeführt werden’ (Am 5,5; 7,11.7) zum übermäßigen Höhepunkt gebracht wird. Der “Auftrag” ist im Text als Gotteswort: ‘Geh, prophezeie (zu) meinem volk Israel!’ in v. 16 festgehalten. Der “Einwand” und Widerstand kommt nicht von Amos, sondern von Amasja in dem – dem Jahwes Auftrag direkt widersprechenden – abweisenden Befehl an den Propheten Amos ‘nicht… prophezeie!’(v.13). Die “Zusicherung”, in der die gewöhnliche, vertrauliche und gar intime, Wendung: ‘mit dir sein’ ausfällt, soll man wahrscheinlich erst am Ende des Buches in dem Hinweis auf die positive Wirkung vom – sonst vorwiegend als Drohung augegebenen “Tag Jahwes” – suchen (Am 9,11ff): ‘an jenem Tag’ wird Jahwe ‘aufrichten’.
Anstatt der in einer Berufungserzählung üblichen Bestimmung durch das Wortpaar ‘senden-gehen’ enthält Am 7,14f – neben ‘gehen’ innerhalb der direkten Rede als von Gott an Amos gerichteten Imperativ – das Zeitwort ‘nehmen’, was einen besondern Eingriff Gottes bezeichnet und dieses Berufungsgeschehen in die Nähe einer “Entrückung” bringt, die sonst durch ‘nehmen’ gekennzeichnet ist. Eine “Entrückung” wirkt im Zusammenhang mit der Tatsache, daß Amos aus dem Südreich – aus der Stadt der ‘klugen’ (2 Sam 14,2) Witwe, die mutig bei der Wiederversöhnung im Davids Reich mitwirkt – stammt und im Nordreich tätig ist, verständlich: Von Gott ist Amos in eine Art Exil ‘genommen’, um zu prophezeien. Wie die kluge Witwe zu einer Aktion die mit dem begnadigenden Kuß (2 Sam 14,33) endet wird auch Amos von einer höheren Macht geholt: Man kann darauf vertrauen, daß auch seine Botschaft – trotz erschreckender Färbung und tatsächlich eintreffenden Fall Samariens 721 v.C. – letztlich zum positiven Ausgang führt (vgl. Am 9,11ff). Bezeichnenderweise steht ‘senden’ in Am 7,10-17 für den Priester Amasja, wie auch – parallel zu v.15 – ein Imperativ ‘geh!’ (v.12 ähnlich ‘prophezeiest’) an Amos. Vielleicht sollen diese Wendungen auf die – im Zusammenhang mit Kult – ständige Gefahr der Anmaßung hinweisen, die Rolle Gottes übernehmen zu wollen.
Mit Mose (Ex 3) und David (1 Sam 16) ist die Berufung von Amos dadurch verbunden, daß er ein Hirt war und daß ihn das ‘Holen’ Gottes bei einer ‘Herde (Kleinvieh)’ (Am 7,15) erreicht. Wie Elischa (1 Kön 19,19) ist er aus seiner alltäglichen Beschäftigung von hinter den Tieren weg berufen worden.
Der peinliche Konflikt mit der religiösen und politischen Struktur ist offensichtlich: Nach dem Amasja im ersten Abschnitt (v.10f) der Episode Am 7,10-17 den Propheten beim König anklagen und dadurch die dringende Botschaft auch bei Jerobeam II. selbst ankommen lässt, wendet er sich (in zweitem Teil v.12f) mit seinem Angriff direkt gegen die Identität und prophetische Sendung von Amos. Was der Prophet geschaut hatte (s. ‘Schwert’ v.9) ist dem Souverän höchstpersönlich zur Kenntnis gegeben (‘Schwert’ v.11); der Prophet wird, wahrscheinlch pejorativ und verachtlich, ein ‘Seher’ (v.12) genannt. “Ausländer raus!”, “Amy, go home!” heißt – übersetzt – die Botschaft (v.12) des amtierenden Tempelpriesters an Amos, der weder durch priesterliche Abstammung noch durch eine Ausbildung amtliche Bestätigung verdient hat und trotzdem Gottesworte zu verkünden behauptet (Am 3,1.8). Amos gehört nicht zu den ‘Söhnen der Propheten’ (v.14) von denen bei Elischa oft die Rede ist. Aber trotzdem ist er in dem selben Land Israel tätig, das durch das Stichwort ‘Jerobeam’ an den Zerfall des davidischen Reiches und die kultische Absonderung erinnert, die von den Deuteronomisten bekanntlich als die ‘Sünde Jerobeams’ gebrandmarkt wird. Ähnlich wie bei Elia-Elischa bringt der prophetische Auftrag Amos soweit, daß er mit der politischen Machtspitze zu tun hat: er wird vor dem König als ‘Aufruhr-Stifter’ (v.10) angeklagt. Es wird ihm also, ähnlich wie Elia von Ahab (1 Kön 18,17), vorgeworfen, das sein prophetisches Wirken, die ganze Volksgemeinschaft des Königreichs Israel (s. ‘Haus Israel’, ‘das Land’ v.10) ins Unglück bringt: Amos wird zum politisch gefährlichen erklärt.
Die Vorwarnung vor dem sicheren Untergang öffentlich zu verkünden ist keine angenehme Aufgabe. Amos führt sie aber (Am 5,10) – offensichtlich zur Unlust der Hörenden – aus und macht sich selbst zum Gehassten und Verabscheuten. Von der dreimal wiederholten, dringend warnenden, Verbannungzusicherung (in dieser Form sonst nicht im AT), befinden sich zwei in unserem Text (vv.11 und 17). Umso verständlicher ist der Zusammenstoß mit der Religion, die vielmehr den Trost und die Befreiung, Schutz und Geborgenheit bei Gott vermitteln und sich um Lebenszusicherung bemühen will. Deswegen weist Amos sich selbst als ‘kein Prophet’ (v.14) aus und sein Selbstverständnis beruht auf dem ‘Genommensein’ durch Gott selbst (v.15), was ihm möglich macht, im dritten und letzten Teil (vv.14-17) des Textes auf den unmittelbaren Angriff eine mindestens gleich harte Antwort zu geben: die priesterliche Identität Amasjas ist erschütternd in Frage gestellt, das Versprechen Gottes aber wird bejaht (v.17).
Niko Bilić SJ
21.11.1996
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